Galerie Christian Pixis, München 2016
CHARLOTTE ACKLIN – Aufsicht und Untergrund
Neue Bilder, 16.06.2016 – 30.07.2016
Das Bild muss kühn sein, sollte Risiken eingehen, sagt Charlotte Acklin. Jedes Bild ist ein eigener Prozess, denn, so höre ich sie weiter, die Spuren der Arbeit zur Herstellung des Bildes seien immer sichtbar. Solche Malerei schenkt dem Betrachter schöne solistische Stellen, dann wieder kleine Landkarten, winzige Träumereien, man mag sich selbst verlieren in einer kleinen Landschaft. Und ein Bildausschnitt ist zugleich wieder ein abgeschlossenes Bild mit allen Merkmalen der vollständigen Leinwand. Diese wiederum Teil einer noch größeren, im Grunde einer verfassten Weltleinwand sein könnte.
Tiefen- und Vogelperspektiven (im Ausstellungstitel als ‘Aufsicht’ benannt) stehen neben dem Untergrund. Das Wegkratzen, Schaben, Abnehmen von Farbe ist ein Akt der Deformation (ein Begriff der Künstlerin) eines selbst geschaffenen Vor- und Urzustands. Das Deformieren bringt hervor: ein Übereinander, ein Nebeneinander, ein Überkreuz und ein Einzeln. Entfernt verwandt auch mit der Augenscheinlichkeit: Ein Film läuft zu schnell oder der Zug fährt schnell und die Landschaft verläuft zu Strichen in das Unendliche, das mögen Elemente in Bildern wie Unter/Grund I und II sein. Als Filmemacherin bringt die Schweizerin das Element der Bewegung auf die Leinwand.
Selten wird das Thema des rechten Augenblicks so unmittelbar in der Malerei vorgeführt. Die eigenständige Manier durch die malerische Technik des Wegnehmens und Wiederaufbauens und wieder Wegnehmens und so fort, ästhetisch nah der in der Galerie hoch geschätzten Décollage, fordert eine Entscheidungskraft des Aufhörens, wenn das Freilegen sich in der so gewollten Schichtenlandschaft verwirklicht hat.
Acklin führt den Entscheidungsaugenblick vor, währenddessen das Herstellen der Bilder unmittelbar nah sein kann. Auch dies meint die von der Malerin geforderte Kühnheit. In der Galerie sind die Bilder durch das Nebeneinander von vier geschwisterlichen Ansichten (Beben, Deformation I und II, Bruch) in ihrer ganzen Wirkungsmacht, und als Einzelarbeiten in ihrer zärtlichen Eleganz zu sehen.
Ich stelle mir vor, wie die Künstlerin in dem Augenblick den Atem anhält, wenn es daran geht, die Arbeit, nahe am performativen Akt, zu beenden, wenn sich alle ihre Fähigkeiten angesichts eines flüchtigen, lebendigen, weichen Farbmaterials vereint und verwirklicht haben. Das Einfangen des endgültigen Bildes mag eine große körperliche und geistige Freude sein, die als dramatische Heiterkeit sich dem Betrachter äußert.
Unsere Augen sehen in einen sich erweiternden Raum, Unbekanntes verbirgt sich hinter den Schichten. Eine Freude ist es, diese potentiellen Überraschungen mittels der Erscheinungen zu erleben, die wir an der Oberfläche sehen können. Es steckt noch so viel drin im Untergrund; die entscheidenden Stellen gibt uns die Malerin entschlossen frei.
Christian Pixis